Interview mit Volker Kraushaar, ehem. Betriebsratsvorsitzender des Werkes Kalle-Albert – Hoechst AG
„Anfangs wurden die „Nicht-Deutschen“ als „Gastarbeiter“ bezeichnet“
Treffen mit Volker Kraushaar im Nachbarschaftshaus Wiesbaden-Biebrich im Juni 2018 für ein Interview und Austausch über seine Arbeit in der Chemischen Industrie und im besonderen über die Zusammenarbeit mit seinen damaligen ausländischen Kolleg*Innen.
Der langjährige Betriebsratsvorsitzende nahm am 1. April 1957 seine Lehre als Physik-Laborant bei der damaligen Kalle AG in Wiesbaden auf, schloss sie erfolgreich ab, um ab dann ab 1960 – 1978 im Labor der dortigen Chemischen Industrie tätig zu sein. Er betätigte sich neben seiner Arbeit im Labor auch gewerkschaftlich, um sich für die Rechte seiner Kolleginnen und Kollegen aktiv einzusetzen. Es folgte eine Freistellung von 1978 – 1988 als stellvertretender BR-Vorsitzender und im Jahr 1988 wurde er Betriebsratsvorsitzender für 10 Jahre bei Kalle-Albert. 1998 ging Kraushaar dann in Ruhestand, um weiterhin auch als Rentner aktiv seinen „Un-Ruhestand“ zu betreiben. So ist der aktive Wiesbadener in mehreren Gremien ehrenamtlich tätig, unter anderem auch im Vorstand des Nachbarschaftshauses „Mehrgenerationen-Haus“ Wiesbaden-Biebrich.
Volker Kraushaar berichtet von den gezielten Anwerbeversuchen des Arbeitgebers, da Arbeitskräftemangel in den frühen 60er Jahren des 20. Jahrhunderts herrschte. Es gab sogenannte Anwerbeabkommen, zum Teil auch in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit, um gezielt dem Arbeitskräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken.
In diesem Zuge kamen Anfang der 60er Jahre bis Anfang der 70er größtenteils ungelernte Kräfte aus Italien, Griechenland, Portugal, Spanien, Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Die deutschen Kolleginnen und Kollegen trafen im Sommer 1960 auf ihre „ersten Gastarbeiter“, so wurden 185 Italiener und 18 Griechen eingestellt. Der Anteil der „Ausländer am Stammpersonal machte 1960 insgesamt nur 4,8% aus. Dies veränderte sich in den folgenden Jahren erheblich, so Volker Kraushaar. 1973 betrug der Anteil der ausländischen Mitarbeiter (Stammpersonal) schon fast 35%, wohingegen der Anteil de deutschen Mitarbeiter um knapp 28% zurückging (Stand: 1973). Der Anteil der griechischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die vorwiegend in der gewerblichen Produktion wie beispielsweise in Mehrschichten in der Folienverarbeitung, in der Cellophan-Grundverarbeitung sowie im Repro-Bereich eingesetzt waren, machte mit 35,1% die größte Quote aus , dem folgten die Portugiesen mit 34%, die türkischen Mitarbeiter mit 13%, die italienischen Arbeiter mit knapp 7%, die Jugoslawen mit 5,4% und die Spanier mit knapp 3%.
Interessant war, so der ehemalige BR-Vorsitzende, dass die ausländischen Mitarbeiter in der Zusammenarbeit von Seiten des Arbeitgebers als „pflegeleicht“ galten, sie kamen aus wirtschaftlichen Gründen, um dann in der Industrie oft in mehreren Schichten hintereinander „viel Geld zu verdienen“.
Anfangs wurden die „Nicht-Deutschen“ als „Gastarbeiter“ bezeichnet, da man davon ausging, dass sie zeitnah wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Als die Anzahl der ausländischen Mitarbeiter anwuchs, wurde dann ab den 1970er nicht mehr „Gastarbeitern“, sondern konsequent von „Ausländern mit nicht-deutscher Nationalität“ gesprochen , so der Personalstelle der der damaligen KALLE AG.
Der anfangs nicht immer einfache Aufenthalt in der Fremde wurde versucht, angenehm zu gestalten, so gab es firmeneigene Gemeinschaftsunterkünfte in Biebrich, Mainz-Kastel und Schierstein, um preiswerten Wohnraum für die Neuankömmlinge anzubieten.
Dort lebten zum Teil anfangs in kleinen Zimmer mehrere Nationalitäten, die sich auch die Küche und den Schlafraum teilen mussten. Dies war nicht immer einfach, da die Arbeiter in Mehrschichten arbeiteten, und somit eine Privatsphäre mit Ruhe und Erholung oft nicht möglich war.
Kurze Zeit danach lebten die ausländischen Mitarbeiter schon in werksgeförderten Wohnungen, da sie ihre Familie nachholten und größeren Wohnraum benötigten und die Gemeinschaftsunterkünfte diese Bedarfe nicht mehr abdeckten. Viele – besonders griechische Kollegen – zogen in Wohnungen von Privatvermietern -bevorzugt in Arbeitsnähe, Biebrich, Schierstein, Kastel und Mainz.
Firmeneigenes Ausländerreferat „Abteilung für ausländische Mitarbeiter“- Ansprechpartner für die ausländischen Kolleginnen und Kollegen
Von Seiten des Arbeitgebers wurde speziell für die Bedarfe von ausländischen Arbeitskräften ein eigenes Ausländerreferat „Abteilung für ausländische Mitarbeiter“- gegründet, in dem jeweils ein Grieche, ein Portugiese und ein türkischer Mitarbeiter von der Arbeit freigestellt wurde, um sich um die indiviellen Belange seiner ausländischen Kolleginnen zu kümmern und als fester Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. So halfen sie ihren Landsleuten bei Amtsgängen, beim Verfassen von Formularen u.a. Allerdings, so der ehemalige BR-Vorsitzende „wurden die ausländischen Kollegen nie angeleitet, im Sinne von Fördern und Fordern, eigene Sprachkurse zu besuchen. Sie waren auf die Betreuung der freigestellten Kollegen angewiesen. Die Wichtigkeit der Sprachkurse als Mittel der Integration wurde damals noch nicht erkannt“.
Von Seiten des Arbeitgebers wurden aber weitere Angebote für die ausländischen Kollegen zur Verfügung gestellt, um das Leben und Arbeiten möglichst abwechslungsreich gestalten zu können. So gab es Sozialberater, Dolmetscher von Seiten der amtlichen und kirchlichen Stellen und der ausländischen Communities sowie firmeneigene Sprachkurse, die nach Information von Kraushaar allerdings auf wenig Interesse bei den ausländischen Kollegen stießen. Die Gründe waren hier sicherlich vielschichtig, ein wesentlicher Grund der Nicht-Teilnahme bestand darin, dass die Kollegen nach Schichtende erschöpft waren, Geld verdienen wollten und mussten und sich somit für die Integration über Sprache und für den Spracherwerb der deutschen Sprache keine Zeit nahmen oder nehmen konnten.
Positiv war, betonte der ehemalige BR-Vorsitzende, dass es über die Zusammenarbeit mit den deutschen und nicht-deutschen Kollegen und Kolleginnen – abgekoppelt von firmeneigenen Angeboten – zu einer beidseitigen Annäherung kam, aus der auch langandauernde Freundschaften entstanden, die sich auch in der Freizeit trafen und somit bis heute ein Stück zur aktiven Integration beitragen.