Interview mit Argyri Paraschaki, Vorstandsmitglied im Landes- und Bundesverband der Migrantenvertretungen, SWR-Rundfunkrätin und Tochter griechischer Einwanderer in Deutschland stand für ein Gespräch gerne zur Verfügung.

Frau Paraschaki erzählte über ihre deutschen und griechischen „Heimat“-Gefühle, von den Bemühungen ihrer Eltern, die eigene Kultur weiter zu pflegen und zu bewahren und gleichzeitig offen für die Kultur des Aufnahmelandes zu sein. Gleichzeitig erlebt man eine spannende Rückschau und erfährt aus erster Hand den Erlebnisbericht der 1. und 2. Generation im Miteinander der gemeinsam erlebten Migration und der erfolgten Sozialisation.

„Ich würde jeden dazu ermuntern, sich auf die Kultur, auf das Leben und die Möglichkeiten in Deutschland einzulassen“

Wie sah das Leben in Deutschland für Sie als Kind griechischer Einwanderer aus?

Anfänglich war ja für mich das ‚Griechisch sein‘ normal, bis man dann natürlich anfängt in der Schule (in der Grundschule) ein Stück weit zu merken, dass man anders ist. Dies wird dann mit und in den Freundschaften offensichtlicher. Das muss aber nicht negativ sein.

Familenbild im Jahr 1980 in Esslingen

Vermittlung der griechischen Kultur in der „Fremde“

Aber es stimmt schon, dass meine Eltern ein Stück weit versucht haben, uns die griechische Tradition und unsere Kultur in der Fremde zu vermitteln und diese zu bewahren. Meine Eltern haben ganz viel auf eigene Entfaltung verzichtet, zu Gunsten der Kinder. Meine Eltern haben sehr früh den Entschluss gefasst, nicht nach Griechenland zurückzukehren und haben hier dann auch Eigentum erworben und sich also bereits Ende der 70er, Anfang, der 80er dazu entschieden, sich auf das ‚hier‘ komplett einzulassen.

 

Meine Eltern haben beide sehr viel und permanent gearbeitet. Geld gab es nicht im Überfluss, aber da meine Eltern zu wirtschaften wussten, hat es uns an nichts gefehlt. Und natürlich sind wir fast jedes Jahr, je nach finanzieller Situation, nach Griechenland gefahren. Anfänglich mit dem Auto und nach dem Ausbruch des Balkankrieges, dann mit dem Flugzeug. Da meine Eltern sich in Deutschland kennengelernt haben, kam erschwerend dazu, dass mein Vater aus dem Norden Griechenlands kam und meine Mutter aus dem Südosten, also auch da eine weitere Herausforderung, die es zu meistern galt.

Erlebten Sie sich mit ihrer griechisch gelebten Kultur in der Schulzeit als „anders“?

Ja, das habe ich, mir hat unter anderem bei vielen Lehrplaninhalten der Wissenshintergrund gefehlt. Ferner habe ich vormittags die deutsche und nachmittags die griechische Schule besucht. Auch haben wir natürlich andere religiöse und kulturelle Feste gefeiert.

Haben Sie Diskriminierung erfahren müssen?

Nicht wissentlich.

Der familiäre Alltag in der Diaspora?

Der Alltag war schwieriger. Es gab ja keine große Familie drumherum, die unterstützen konnte. Die lebte ja in Griechenland. Es gab in Deutschland keine Großeltern, so dass meine Eltern tatsächlich alles selber stemmen mussten… von der Kinderbetreuung, über den Schulalltag, Ausflüge, etc.

Der Alltag war geprägt vom Erhalt der griechischen Kultur in der Fremde, er war aber auch geprägt vom Leben nach den hiesigen kulturellen Begebenheiten. Es war immer ein Spagat. Nicht nur in der eigenen Kultur zu verbleiben. Und, die neue Kultur zu erfahren, ohne sich von der eigenen zu entfremden.

Schulfest am griechischen Nationalfeiertag, 25. März 1985, Argyri Paraschaki mit griechischer Fahne

Schulfest am griechischen Nationalfeiertag, 25. März 1985,
Argyri Paraschaki mit griechischer Fahne

Wo sehen Sie aktuell ihre Heimat? Ist Deutschland zur Heimat geworden? Wenn ja, warum?

Ich sehe Deutschland als meine Heimat. Ja, ich darf sagen, dass Deutschland zur Heimat geworden ist.

„Ich fühle mich in Deutschland wohl“

Ich glaube, dass das ganz einfach damit zu beantworten ist, dass ich hier sozialisiert bin. Ich arbeite hier, ich habe mein soziales und kulturelles Umfeld hier. Ich fühle mich in Deutschland wohl und darf anmerken, dass ich mich als Teil der Gesellschaft in Deutschland fühle und ich engagiere mich auch gerne für dieses Land.

Natürlich ist ein großer Teil meiner Familie in Griechenland und ich bin regelmäßig auch in Griechenland und fühle mich dort auch wohl. Ein Stück weit ist Griechenland natürlich auch Heimat, die Heimat meiner Eltern. Aber ich habe dort nicht gelebt und daher ist für mich ganz klar Deutschland meine Heimat. Kurz um, ich fühle mich zu Deutschland zugehörig.

Was bedeutet „Heimat“ bzw. der Begriff der „Heimat“ für Sie?

Heimat ist da, wo ich mich zu Hause fühle und wo ich sozialisiert bin.

Gibt es so etwas wie fremd sein oder ein Gefühl des anders sein?

Ja, schauen Sie, viele Menschen die nach Deutschland eingewandert oder nach Deutschland migriert sind, und ich nicht auf die Gesellschaft hier eingelassen haben, sind ja auch nicht sozialisiert und deswegen fühlen sie sich nicht dazugehörig.

Sie fühlen sich also fremd oder anders. Ich habe durch meine Mutter sehr früh gelernt, dass man aktiv auf andere zugehen muss.

Wenn man nämlich darauf wartet, dass jemand auf einen zukommt, dann kann das ganz schön schief gehen. Meine Eltern, vor allem meine Mutter, haben versucht sich mit der Kultur hier ebenfalls auseinanderzusetzen.

Gibt es kulturelle Identität? Fühlen sie sich einer bestimmten Nationalität zugehörig?

Natürlich gibt es eine kulturelle Identität, vielen Menschen bleibt in der Fremde nur die kulturelle Identität. Und leider verwechseln viele Kultur mit Religion.
Ich fühle mich deutsch, aber nicht nur! Ich darf anmerken, dass ich tatsächlich, weil ich ein Leben lang eben auch Kontakt zu Griechenland und zu Griechen habe – übrigens sowohl in Deutschland, als auch in Griechenland – mich auch als griechisch fühle.

Hat sich ihre griechische Kultur durch das Leben in Deutschland verändert?

Ja, hat sie. Egal ob Ostern oder Weihnachten, oder deutsch religiöse Feste und Traditionen oder griechische, das fließt alles ineinander über. Man verdeutscht das Griechische und man vergriechischt das Deutsche. Egal ob bewusst oder unbewusst. ☺

Die Anwendung rückwirkend auf den Migrationsprozess der Eltern, was war positiv, wo gab es Schwierigkeiten?

Ich glaube, die Schwierigkeit war, in einem fremden Land, wo ja noch nicht so viele Möglichkeiten bestanden wie heute, seine Religion und Kultur auszuleben und der Fokus natürlich darauf lag, sich hier etwas Aufzubauen, war geprägt, durch den Erhalt des Bekannten und das Einlassen auf das Neue und Fremde und wenn ich das anmerken darf, das ist meinen Eltern sehr sehr gut gelungen. Als positiv empfinde ich bis heute den Einblick in beide „Welten“.

Was würden Sie heute aus ihrer Erfahrung heraus den Deutschlernenden und Arbeitgebern und Behörden Mitarbeitern, die mit Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten, empfehlen, damit eine Integration gelingt?

Ich würde jeden dazu ermuntern, sich auf die Kultur, auf das Leben und die Möglichkeiten in Deutschland einzulassen.
Ich würde aber im Hinblick auch auf die Themen, die jetzt anstehen (Sprachkurse, Politikverdrossenheit, Überfremdung, etc.) die Neuzugewanderten von Anfang an etwas verpflichtender an die Materie heranführen.

Auf das Gala von 1 (schlecht) bis 10 Uhr (gelungen) – wie fühlen sie sich integriert?
10!

Vielen Dank für das Gespräch!