„In Deutschland wartet das Paradies auf uns“ – so heißt ein Buch, das vor kurzem erschienen ist und sich mit der Geschichte der Gastarbeitenden in den Olympia-Werken beschäftigt. Schon in den 60er Jahren gab es das große Thema Fachkräftemangel. Millionen Menschen wurden im Ausland angeworben und kamen dann nach Deutschland, um zum Beispiel bei Olympia am Band zu arbeiten. Die Geschichte dieser sogenannten „Gastarbeiter“ hat Maike Wöhler recherchiert. Die Kulturwissenschaftlerin hat vor einigen Jahren ihr Forschungsprojekt begonnen. Entstanden ist daraus ein Buch. Bente Hoeft-Heyn hat mit Maike Wöhler und Marianne Janss, die jahrelang in der Migrationsberatung in Wilhelmshaven gearbeitet hat, über das Projekt gesprochen und Maike Wöhler erstmal gefragt, was jetzt mit dem Projekt passiert.

Hier geht es zum Interview

Radio Jade, 06. September von Bente Hoeft-Heyn

 

Sehr geehrte Frau Wöhler,

 

es ist beeindruckend, welche bedeutende Forschungsarbeit Sie seit so vielen Jahren leisten. Besonders freue ich mich über die Veröffentlichung Ihres Buches „In Deutschland wartet das Paradies auf uns – Die Olympia Werke und die griechische Arbeitsmigration in Nordwestdeutschland“. Diese Publikation würdigt die enormen Anstrengungen, die Sie unternommen haben, um die Geschichte der griechischen Einwanderung in Norddeutschland zu dokumentieren.

Die Geschichte der griechischen Arbeitsmigration in Deutschland ist ein integraler Bestandteil der modernen griechischen Geschichte. Sie hat die griechische Gesellschaft, Wirtschaft und die Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland nachhaltig beeinflusst. Ihre Bücher tragen dazu bei, die historische Erinnerung an das Leben von Tausenden von Menschen zu bewahren, die nach dem Krieg die Geschichte Europas in vielerlei Hinsicht geprägt haben.

Wir sind der Ansicht, dass die einzigartige Forschung, die Sie seit so vielen Jahren betreiben, jede Unterstützung verdient, und wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen.

 

Vielen herzlichen Dank für Ihr Engagement.

Mit freundlichen Grüßen

 

Panagiota Syriopoulou

Kommunikationssekretär A‘

Außenministerium Griechenlands

E1 Direktion für internationale Öffentlichkeitsarbeit

Abteilung für digitale Förderung

 

Athen, 1. September 2023

Copyright Anastasios Karafillis

(von links nach rechts) Maria und Tasso Karafillis und die Kuratorin Maike Wöhler. – Copyright Anastasios Karafillis

Pressetext der aktuellen Ausstellung „Unsichtbares wird sichtbar“ im Stadtmuseum am Markt, Wiesbaden

Abdruck des Artikels, erschienen in der „Frankfurter Rundschau“ am 20. März 2023, mit freundlicher Genehmigung der Autorin Mirjam Ulrich.

Stadtmuseum zeigt Ausstellung über griechischstämmige Gastarbeiterkinder

Von Mirjam Ulrich

 

Die ersten Deutschlehrer von Maria Zia hießen Kermit, Ernie und Bert. Daheim sprachen ihre Eltern nur Griechisch mit ihr, die Familie kam nach Deutschland, als Maria Zia ein Jahr alt war. „Ich habe durch das Fernsehen innerhalb von sechs Monaten Deutsch gelernt, die Sesamstraße hatte etwas Gutes“, sagt die Diplom-Psychologin. Ihre griechischen Wurzeln kommen ihr bei ihrer Arbeit als Psychotherapeutin zu Gute, in ihre Praxis kommen Patienten vieler Nationalitäten. „Sie öffnen sich leichter, weil sie spüren, dass ich sie verstehe.“

Maria Zia gehört zu den griechischstämmigen Gastarbeiterkindern in Wiesbaden, die in der Ausstellung „Unsichtbares wird sichtbar“ im SAM – Stadtmuseum am Markt private Einblicke in ihr Leben geben. „Die befragten Menschen der zweiten Generation sehen sich modern, kosmopolitisch und reflektieren ihre Migrationsgeschichte“, sagt Kuratorin Meike Wöhler vom deutsch-griechischen Forschungsteam. Den Alltag der Befragten hat der Fotokünstler Tom Greiner in schwarz-weiß Bildern festgehalten. In Wiesbaden wurde das Thema bislang in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. Laut amtlicher Statistik leben rund 2900 griechische Staatsangehörige in der Landeshauptstadt. Hinzu kommen rund 3600 Menschen mit griechischen Wurzeln, die einen deutschen Pass haben.

Die Ausstellung im Stadtmuseum knüpft an das Vorgängerprojekt „Man ist nur so lange fremd, bis man sich kennt“ der deutsch-griechischen Projektgruppe von Maike Wöhler und Christos Mantzios an. Es befasste sich mit der Arbeitsmigration griechischer Gastarbeiter der ersten Generation in Wiesbaden. Schon als Maike Wöhler zwei Jahre in Biebrich lebte, interessierte sie sich dafür. Dort lernte die gebürtige Mainzerin eine griechische Großfamilie kennen, der Vater erzählte spannende und schöne Geschichten. „Irgendwann musst Du die aufschreiben“, war ihr Gedanke.

Konkret wurde die Idee durch ihre Arbeit in einer Bremer Sozialbehörde mit zugewanderten Fachkräften. Die Kulturwissenschaftlerin nahm ein Jahr unbezahlten Urlaub und finanzierte auch die Forschung in Wiesbaden komplett selbst. Sie schrieb ein Buch über das Projekt, das Stadtarchiv zeigte 2021 die gleichnamige Ausstellung. Sie wurde genau wie das aktuelle Projekt über „Demokratie leben in Wiesbaden“ gefördert.

Der Politikwissenschaftler und freie Autor Anastasios Karafillis ist von der Wichtigkeit des Projekts überzeugt. „Wir Griechen sind in Deutschland ein Positivbeispiel für Integration“, sagt der gebürtige Wiesbadener. Er fände es toll, wenn andere Zuwanderer sie als Blaupause sehen und sich fragen, wie es gelingt. Für ihn, der stolz darauf ist, Grieche zu sein, erfordert Integration ehrlichen gegenseitigen Respekt der jeweils anderen Kultur.

„Man hat als Grieche ein gutes Standing, weil sich viele Deutsche dafür interessieren“, hat Sofia Konaka beobachtet. Als Kind habe es sich erstaunlich angefühlt, innerhalb der Wohnung in Griechenland zu sein und zu leben, aber in Deutschland, sobald sie aus der Haustür trat. Sie ist froh, dass sie wie Maria Zia in der Grundschule die Klasse für griechische Gastarbeiterkinder besuchte. „Dadurch lernte ich, auch griechisch zu schreiben“, sagt die Polstermeisterin und Diplom-Psychologin, deren Eltern großen Wert auf Bildung legten.

Michael Koutsoudakis machte in Biebrich sogar das griechische Abitur und aufgrund der nur 12-jährigen Schulzeit anschließend am Studienkolleg auch das deutsche. Bei Kalle, wo sein Vater arbeitete, absolvierte er eine Ausbildung als Chemikant. Deutsche Freunde zu haben, war für ihn selbstverständlich. Er selbst besitze nur den griechischen Pass, seine beiden Töchter hingegen den deutschen, erzählt Koutsoudakis. „Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, mich zu integrieren“, sagt der 50-Jährige: „Ich bin doch hier geboren.“

 

Die Ausstellung „Unsichtbares wird sichtbar“ ist noch bis Sonntag, 2. April, im SAM –Stadtmuseum am Markt zu sehen und im Internet unter:

griechen-wiesbaden.de/ausstellung/unsichtbares-sichtbar-machen

Ihr Vortrag „Vom Weggehen und Ankommen – Über die griechische Arbeitsmigration im 20. Jahrhundert in Wiesbaden“ war ein großer Gewinn für die Bildungs- und Erinnerungsarbeit des Wiesbadener Stadtarchivs.

 

Zweierlei hat mich besonders beeindruckt:

  • Die von Ihnen im Rahmen ihrer Forschungsarbeit zusammengetragenen Belege für eine rudimentäre Willkommenskultur, das lebensferne Angebot von wenig genutzten Deutschkursen und andere Fakten, die meine holzschnittartigen Vorstellungen von den Realitäten nach Wirksamwerden des Deutsch-Griechischen Anwerbeabkommens etc. produktiv in Frage gestellt haben.
  • Die von Ihnen in strukturierten Interviews erfassten und auszugsweise zitierten Antworten der Angehörigen der Deutsch-Griechischen Community in Biebrich.

Eine der persönlichen Kernbotschaften hieß sinngemäß:

Andere Lebenswelten und Geschicke mögen sich noch so stark von der eigenen Lebenswelt um dem eigenen Geschick unterscheiden – fremd bleibt nur, was man nicht an sich heranlässt, was man einsortiert und abwehrt, bevor man es kennen gelernt hat.

Diese integrationserfahrene Einsicht halte ich für essentiell.

Einwanderung wurde in Deutschland lange geleugnet und wird in jüngster Zeit von Rechtsnationalisten und Rechtsradikalen mit Angst, Wut und Hass verfolgt – einer Angst, einer Wut, einem Hass, der dort am heftigsten wuchert, wo man „Fremde“ nur als

Abziehbilder eines eigenen völkischen Verfolgungswahns kennt, wo zugewanderte Menschen nur mit dem Fernglas eigener Vorurteile wahrnimmt. Die authentischen Schilderungen des Erlebten sowie persönliche Dokumente zeigen, dass die Beschäftigung mit dem sogenannten »Fremden« immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur ist und somit eine wichtige gesamtgesellschaftliche Chance bietet.

 

Wie Sie sehen, hat Ihr Vortrag bleibende Wirkung entfaltet. Auch einige wichtige Multiplikatoren, die am Vortragsabend im Publikum saßen, haben mir dies bestätigt und auf einen Aspekt Ihres kulturwissenschaftlichen Projekts hingewiesen, der mir zuvor entgangen war:

Wer seine Erinnerung einbüßt, wird orientierungslos.

Aber die Verortung im hier und jetzt kann auch unter einem Festklammern an geronnen Erfahrungen des Gestern leiden und lebt von der Bereitschaft, sich dem neuen Unerwarteten zu stellen.

Konkreter: Die Rückbesinnung auf die ersten Etappen der Zuwanderung liefert zwar kein Patenrezept für die Lösung der anstehenden Integrationsaufgaben, ist aber hilfreich, weil sie Gelungenes ebenso festhält, wie das Wissen um Irrwege, die man nicht ein zweites Mal einschlagen sollte. Das Wissen um erzielte und erzielbare Erfolge, bedeutet für zugewanderte Menschen, die manch mühsamen Weg noch vor sich haben, eine praxisrelevante Ermutigung und einen instruktiven Hinweis.

Auch professionelle Betreuer*innen und Coaches können von solchen Wissenschätzen profitieren.

 

Lassen Sie mich Ihnen abschließend nochmals danken für die in mühevoller ehrenamtlicher Arbeit geleistete Forschung und die Bereitstellung von Ergebnissen, die für das Stadtarchiv Wiesbaden von erheblicher Bedeutung bleiben.

 

VON GEORG HABS

Sprecher der Ausstellungsgruppe und Mitglied des Vorstandes Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V. (AMS) und ehemaliger Leiter der Multimediaabteilung, Stadtarchiv Wiesbaden)

„Mit 15 fuhr ich jeden Freitag nach der Schule von Wetzlar mit dem Zug in das Dorf meiner Großeltern und putzte für sie. Und immer standen am Bahnhof die griechischen Gastarbeiter und einer von ihnen wurde mein erster Freund. Er brachte mir ein bisschen Griechisch bei, auch die Schrift, und ich ihm ein bisschen Deutsch. Und wir wollten heiraten, das hätte seine Mutter gefreut, meine Eltern leider nicht. Und jetzt hat Maike ihr wunderschönes Buch geschrieben. Wiesbaden liegt in Hessen und ihr Buch ist für mich auch ein verträumtes Wiederfinden, auch noch mit 70 und ganz aus dem Norden. Danke, Maike!“

 

 

Dr. Bärbel Kuhn war bis 2015 CEO (Sprachenzentrum, Uni Bremen). Seitdem aktiv als Lehrbeauftragte für Germanistik (Uni Bremen und Uni Frankfurt), als Senior Researcher (Mehrsprachigkeitsforschung) an der TU Darmstadt, an der Uni Graz und für das Europäische Sprachenzentrum des Europarats (und von da aus in Sachen Autonomes Sprachenlernen zuletzt nach Brünn).

Link zum Portrait

 

Migrationswissenschaftler sprechen davon, dass sich Zuwanderer ein kulturelles Programm der Aufnahmegesellschaft aneignen, um so innerhalb der (neuen) Gesellschaft und mit diesem „Rüstzeug“ problem- und situationsorientiert zu agieren. Diese Kulturaneignung ist wie ein Programm zu sehen: Das tradierte Programm bleibt in Teilen erhalten, wird allerdings im Prozess der Migration mit dem Aneignen und dem Kennenlernen der neuen (Aufnahme-) Kultur modifiziert. Dieses Wissen ist wichtig und elementar, um über dieses soziale Handeln sich auch als Teil der Gesellschaft zu verstehen und dazuzugehören.

Teil der deutschen Gesellschaft zu werden, ein Teil der Gesellschaft in Wiesbaden – das war der gemeinsame Nenner der befragten griechischen Migrant*innen.

© Athanasios Lambrou von Griechenland Aktuell

 

Komplettes Interview auf Griechenland Aktuell lesen

 

VOM ANKOMMEN UND BLEIBEN

Griechische Arbeitsmigration am Beispiel der Olympia-Werke Schortens-Roffhausen – EIN FÖRDER- PROJEKT DER OLDENBURGISCHEN LANDSCHAFT –

Von Maike Wöhler

Seit Anfang 2020 findet in Friesland ein Forschungsprojekt zur griechischen Arbeitsmigration der Olympia-Werke statt. Mit diesem Projekt wird ein wichtiger Teil der Arbeitsmigration im Landkreis Friesland und Umgebung abgebildet und die regionale Arbeits- und Kulturgeschichte am Beispiel der griechischen Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten der ehemaligen Olympia-Werke sichtbar gemacht.

Nach dem vorangegangenen erfolgreich abgeschlossenen Projekt „Vom Weggehen und Ankommen – Über die griechische Arbeitsmigration im 20. Jahrhundert in Wiesbaden (am Beispiel der Chemischen Werke der Kalle AG)“ entwickelte sich im Zuge der Forschungs- recherchen eine Kooperation zu den ehemaligen Betriebsratsmitgliedern der Olympia-Werke und zu ersten griechischen (Gast-)Arbeitenden.

Der Fokus der Arbeit liegt ethnografisch auf den sogenannten Einwandererfamilien der ersten und zweiten Generation ehemaliger „Olympianer“. Die Erfahrungswerte zum Thema Migration und Integration der griechischen Zuwandererinnen und Zuwanderer sollen erfasst werden.

So erhalten sie die Möglichkeit, ihre Erfahrungen der eigenen jahrzehntelangen Migration zu erzählen und im Rahmen einer späteren Publikation für die Folgegenerationen festzuhalten. Mit den Methoden der „Oral History“, dem „Erzählenlassen“ von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, entwickelt sich ein Forum, das verschiedene Formen der Integration und der Migrationsprozesse einer breiteren Öffentlichkeit anschaulich dokumentiert.

So wird der Frage nachgegangen, was die Parameter der „gelungenen“ Integration waren: Was waren die Hintergründe dafür, dass die eingewanderten Griechinnen und Griechen zu den „Integrationsgewinnern“ in Deutschland und auch im Landkreis Friesland, Schortens und Wilhelmshaven zählten und immer noch zählen.

Griechinnen und Griechen zählen zu den am besten integrierten Nationalitäten in Deutschland. Es ist von gesellschaftlicher Bedeutung, besonders vor dem Hintergrund des Miteinanderlebens vieler Nationalitäten im Landkreis Friesland und der Region um Wilhelmshaven, dass die Menschen, die diesen langen, oft beschwerlichen Weg erst über die Arbeitsmigration, dann über die Immigration bis hin zu einer dauerhaften Niederlassung gegangen sind, nach ihren „Integrations-Erfolgsparametern“ befragt und „gesehen“ werden.

Grenzüberschreitende dynamische Wanderungsbewegungen und die damit verbundene Diversität prägen das urbane Leben und die Stadtentwicklung und tragen zu einer Kosmopolitisierung des Alltags bei. Die„Zuwanderungswellen“ der letzten Jahrzehnte prägten nachhaltig bis heute die Kultur, das Leben und das soziale Land- und Stadtgefüge der Friesländer und Wilhelmshavener Bevölkerung. Die Städte und Landkreise unterliegen neuen Herausforderungen, denn mehr und mehr Menschen mit unterschiedlichen Nationalitäten suchen ihre „neue Heimat“ in Deutschland.

Erschwerte Bedingungen der Integration

Die ausländischen Arbeitskräfte wurden im Rahmen vorangegangener bilateraler Anwerbeabkommen in den 1960er-Jahren für eine vorerst zeitlich befristete Tätigkeit in Deutschland angeworben. Sie waren flexible Arbeitskräfte auf Zeit – die Dauer der Tätigkeit war besonders in den Anfangsjahren strikt an die Aufenthalts- und somit die Arbeitserlaubnis gebunden.

Dass besonders in den Anfangsjahren oft gebangt werden musste, ob die Arbeitsverträge verlängert wurden oder nicht, erschwerte in vielen Fällen den „reibungslosen“ Integrationsprozess der zugewanderten Menschen.

Unter den befristeten Aufenthalten im fernen Deutschland und der Zitterpartie mit den zeitlich befristeten Arbeitsverträgen hatten ganze Familien im Ausland zu leiden. Sie waren auf die regelmäßigen Geldüberweisungen angewiesen, denn in den meisten Fällen war der griechische Auswanderer der Einzige, der das Geld verdiente, da im damaligen Griechenland der 1960er-Jahre eine große Armut – verbunden mit einer hohen Arbeitslosigkeit besonders in den Nordregionen Griechenlands – herrschte.

Bedeutung des Forschungsvorhabens

Mit dem karitativen und selbstorganisierten Forschungsvorhaben soll die Integrationsleistung der ehemaligen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter abgebildet werden. Nicht nur mit ihrer Ar- beitskraft, sondern auch mit ihrer griechischen Kultur trugen sie zu einer veränderten multi- ethnischen und „bunteren“ Stadtgeschichte und zu einer nachhaltigen Prägung der Region bei.

Solange die Integrationsleistung von Arbeitsmigranten weder wahrgenommen noch anerkannt wird, vollzieht sich der stille Prozess der langsamen Migration allein und gesellschaftlich isoliert. Die Menschen der Aufnahmegesellschaft und die Zugewanderten agieren in dem Prozess der Migration und Integration aktiv miteinander. Beide tragen eine Verantwortung für ein gesellschaftliches Miteinander, das nicht in einem Nebeneinander und in sogenannte „Parallel- gesellschaften“ führen sollte. Nur mit großer Kenntnis vieler Kulturen, deren Identitäten und Kulturpraktiken, mit Selbstverständnis und einem Aufeinander-Zugehen kann Integration gelingen.

Es ist wichtig, für eine Willkommensgesellschaft, die Integrationsleistungen der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter besonders auch der ersten Generation zu würdigen und ihnen unter anderem auch mit diesem Forschungsprojekt und der anschließenden Projektveröffentlichung eine gesellschaftliche Plattform zu geben.

Maike Wöhler ist Kulturwissenschaftlerin, realisierte 2018 und 2019 das Forschungsprojekt „Vom Weggehen und Ankommen – Über die griechische Arbeitsmigration im 20. Jahrhundert in Wiesbaden“ und verfasste darüber ein Buch „Man ist nur so lange fremd, bis man sich kennt“. Sie ist außerdem im Bereich der Bildungs-, Migrations- und Sozialberatung tätig.

Gesucht: Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Olympia-Werke können sich

gerne als Gesprächspartner unter der Telefonnummer 0421 – 4840484 melden – auch

historische Dokumente wie Fotos, Unterlagen und Aufzeichnungen werden für eine künftige

Publikation gesucht. Mehr Informationen gibt es auch unter www.maike-woehler.de

kulturland 2.20 | 49

Der Stadtteilhistoriker Dr. Peter Oehler während eines kulturhistorischen Stadtspaziergangs – „Griechen in Frankfurt“ im Mai 2019 (Foto: Christian Appel)

Peter Oehler ist von Haus aus Ingenieur – er hat Elektrotechnik an der TU Darmstadt studiert sowie seine Promotion am Fachbereich Informatik der Goethe-Universität Frankfurt am Main erfolgreich abgeschlossen. Nach jahrzehntelanger Tätigkeit als Entwicklungsingenieur bei einem großen Automobilzulieferer arbeitet er seit 2016 freiberuflich – unter anderem auch als  Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Der engagierte Naturwissenschaftler schreibt Prosa, Rezensionen, Reiseartikel – insbesondere über Griechenland. Sein Herz schlägt für Griechenland, für die Kultur, Geschichte und auch für die regionale Kultur- und Stadtgeschichte der zugewanderten Griechen.

Vom Oktober 2016 bis März 2017 gehörte der VI. Staffel der Frankfurter StadtteilHistoriker an. Die Veranstaltungsreihe wurde von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt organisiert und durchgeführt.

Lieber Peter Oehler, allen voran die Frage: Was hat Dich als Naturwissenschaftler dazu bewogen, Dich mit dem stadt- und kulturhistorischen Thema der Griechinnen und Griechen in Frankfurt ehrenamtlich zu beschäftigen?

Zunächst einmal gehöre ich von meinem beruflichen Werdegang zu den Ingenieurwissenschaftlern. Aber wenn man die akademische Welt grob unterteilt in Geistes- und Naturwissenschaften, so zähle ich sicherlich zu den Naturwissenschaftlern. Schon ab Mitte der 1990er Jahre beschäftige ich mich intensiv mit der Literatur. Von der Seite her habe ich mich immer mehr zum Schriftsteller entwickelt. Diesen Widerspruch, dass ich durch meinen Brotjob als Ingenieur nie genug Zeit zum Schreiben hatte, habe ich ja dann Ende 2015 mit meiner Kündigung für mich gelöst. Als ein Freund mich auf das Programm der StadtteilHistoriker hinwies, mit der Bemerkung, das sei nicht viel Arbeit, und die einmalige Aufwandsentschädigung von 1500 Euro sei leicht verdientes Geld, kam ich zunächst ins Grübeln. Denn so mit historischen Themen, dann auch noch so im Kleinen, bezogen auf einen Stadtteil, da fiel mir nichts ein bzw. das klang für mich eher uninteressant. Auf der anderen Seite bin ich auch ein Griechenlandfan. Seit meiner ersten organisierten Radreise auf dem Peloponnes, das war 1994, zieht es mich immer wieder dorthin. Durch mein Interesse an Griechenland kannte ich auch bereits ein paar Griechen hier in Frankfurt. Die Fragestellung, die für mich den Ausschlag gab, mich zu bewerben, war: Auf meinen griechischen Reisen bin ich immer wieder ehemaligen griechischen Gastarbeitern begegnet, die dort Kafenía, Tavernen oder Pensionen betreiben. Von ihnen erfuhr ich, dass es für einen Griechen vollkommen okay ist, ins Ausland zu gehen um Geld zu verdienen. Aber nach einer bestimmten Zeit, wenn er genug verdient hat, kehrt der Grieche immer zurück nach Griechenland. Die Griechen, die ich bis dato in Frankfurt kannte, machten auf mich aber nicht den Eindruck, dass sie in ihre alte Heimat zurückkehren wollten. Diesem Widerspruch wollte ich mittels eines Interview-Projekts auf den Grund gehen.

Was ist Deiner Meinung nach das Besondere an den „GriechInnen in Frankfurt“ gegenüber anderen Griechischstämmigen, die in der Diaspora leben, also auch in anderen Städten Deutschlands oder auf dem Land?

Zum einen ist mir aufgefallen, und das ist eines der Ergebnisse meiner zahlreichen Interviews, dass sich die Griechen hier in Frankfurt besonders wohl fühlen. Und das liegt vor allem daran, dass Frankfurt die internationalste Stadt Deutschlands ist, und wohl auch eine der offensten und liberalsten. Da merkt man schon einen gewissen Kontrast, zum Beispiel zur Nachbarstadt Offenbach. Offenbach ist ja, relativ betrachtet, die ausländer- und damit auch griechenstärkste Stadt Deutschlands. Wenn man aber das Thema Ghettoisierung anspricht, dann spricht man über Offenbach, und nicht über Frankfurt.

Zum zweiten, und das hatte ich zu Beginn meiner Studie auch gar nicht auf meinem Schirm gehabt, zeichnet sich Frankfurt gegenüber anderen Städten Deutschlands dadurch aus, dass es hier einst das weltweit größte Pelzzentrum gegeben hat. Und zwar in und um die Niddastraße im Frankfurter Bahnhofsviertel. Und das war eindeutig eine Domäne der Griechen gewesen, was auch dazu geführt hat, dass das Bahnhofsviertel generell, also auch bezogen auf andere Geschäfte, auf Restaurants und Cafés, in den 1970er und 1980er Jahren fest in griechischer Hand gewesen ist. Das griechische Pelzzentrum bzw. das griechische Bahnhofsviertel war schon etwas Einmaliges.

Gibt es Besonderheiten, die Dir während der Forschungsarbeit auffielen?

Man kann hier in Frankfurt und Umgebung schon von einer griechischen Community sprechen. Also ein loses Netzwerk, das wesentlich durch die griechisch-orthodoxen Kirchengemeinden und die vielen griechischen Vereine geknüpft ist. Mir fällt auch immer wieder auf, dass ich im Gespräch mit neuen Interviewpartnern immer wieder auf mir bereits Bekanntes stoße. Aber das liegt daran, dass die zirka 7.000 Griechen in Frankfurt von der Größe her so eine Kleinstadt repräsentieren, in der ja auch jeder jeden kennt. Aber ich habe auch immer wieder Griechen getroffen, die mit dem ganzen „Griechentum“ in dieser Stadt gar nichts zu tun haben wollen, also weder mit der griechischen Kirche, noch mit griechischen Vereinen. Die griechische Bevölkerung Frankfurts ist also alles andere als homogen.

Eine Sache hat mir selber zu denken gegeben: Mehrere Griechen haben zu mir gemeint, dass sie das gerade gut finden, in oder mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein oder zu leben. Sie empfinden das als eine Bereicherung. Ich kam mir da beinahe etwas minderbemittelt oder benachteiligt vor, da ich ja genau in dem Kulturkreis lebe, in den ich auch hineingeboren worden bin. Andere Griechen vertreten wiederum die Meinung, dass man nicht als Grieche geboren wird, sondern dass man zum Griechen wird bzw. sich erst entwickeln muss. Hier kommt der Aspekt der Lebenseinstellung ins Spiel. Und die griechische Lebensart ist vielleicht auch etwas, was alle Menschen sich aneignen können, wenn sie das denn wollen. Aber vielleicht mache ich ja auch genau aus diesem Grunde diese ganzen Reisen nach Griechenland, und bin in gewisser Weise schon ein halber Grieche geworden?

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der griechischen Community aus?

Durch meine zahlreichen Interviews mit insgesamt 49 Personen haben sich natürlich viele Kontakte ergeben. Zwei meiner Interviewpartner sind ja leider bereits verstorben. Ein paar leben in Griechenland. Aber ich versuche, die Kontakte zu halten. Gute Gelegenheit dazu sind die vielen Feste, zum Beispiel an Ostern oder die Patronatsfeste (wegen des Namenstages) der griechisch-orthodoxen Kirchen. Nicht von allen Festen kriege ich auch wirklich etwas mit. Über die Interviews habe ich auch eine ganze Reihe von griechischen Vereinen kennengelernt, zum Beispiel durch Gespräche mit den Vorsitzenden. Aber eine engere Zusammenarbeit gibt es da nicht.

Du arbeitest ehrenamtlich an diesem Thema – gibt es Kooperationen mit der Stadt Frankfurt oder anderen Institutionen, Verbänden oder Vereinen?

Von Seiten der Stadt nicht. Nach der einmaligen Förderung durch die Stiftung Polytechnische Gesellschaft habe ich mich bisher auch nicht um eine Förderung bemüht. Da kenne ich mich wenig aus bzw. wüsste auch gar nicht, wer da in Frage kommen würde. Eine mehr zielgerichtete Zusammenarbeit ergibt sich, wenn ich bezüglich Vorträgen oder Ähnlichem angesprochen werde. Im Rahmen der Stiftung Polytechnische Gesellschaft habe ich an der Poster-Gemeinschaftsausstellung der StadtteilHistoriker der VI. Staffel auf der Hauptwache im April 2018 teilgenommen sowie bei der Bahnhofsviertelnacht im August 2018 einen Vortrag über die griechischen Kürschner und Pelzhändler im Frankfurter Bahnhofsviertel gehalten. Ich bin auch in Kontakt mit dem sehr griechisch geprägten Kultur-Forum Frankfurt. Hier hat sich die Idee, einen Vortrag nebst Podiumsdiskussion mit mehreren meiner Interviewpartner bis jetzt noch nicht realisiert. Im Januar 2019 habe ich einen Vortrag über mein gesamtes Projekt bei dem Culture Club Riedberg gehalten. Interessant war auch der sogenannte historische Stadtspaziergang bezüglich Griechen in Frankfurt im Mai 2019. Hierzu hatte mich Ralph Demant angesprochen, der diese Privatinitiative zusammen mit seiner Frau seit 2013 ehrenamtlich organisiert. Und für den 23. Oktober 2019 ist ein Vortrag bei der Deutsch-griechischen Gesellschaft Frankfurt geplant.

Gibt es Interessierte und UnterstützerInnen Deines Projektes?

Durch mein Interesse an Griechenland habe ich mittlerweile einige Freunde und Bekannte, die sich ebenfalls für alles Griechische interessieren, aber Nichtgriechen sind. Sie stehen meinem Projekt sehr wohlwollend gegenüber. Von ihnen habe ich auch schon viele Tipps un förderliche Hinweise bekommen. Nicht zu vergessen sind natürlich die Interviewpartner selber. Es gibt doch eine ganze Reihe, die mir explizit gedankt haben und betonten, dass sie das gut finden, dass sich jemand mit der Geschichte der Griechen in Frankfurt beschäftigt. Einer sagte zu mir, eigentlich hätten da die Griechen auch selber drauf kommen können. Aber vielleicht sei es sogar besser, dass diese Aufgabe ein Nichtgrieche macht, da er doch unvoreingenommener an das Thema herangehen würde.

Arbeitest Du mit Institutionen zusammen, die sich mit dem Thema Migration und deren öffentliche Darstellung beschäftigen?

Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft ist ja vielfältig hier in Frankfurt tätig. Sie unterhält auch ein Stipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“ beim Historischen Museum Frankfurt (HMF). Und zu meiner Zeit als StadtteilHistoriker war diese Stelle mit Katerina Dori besetzt, einer jungen Griechin. Wir sind aufeinander aufmerksam gemacht worden. Und so hat mich Katerina auch aufgefordert, an dem Workshop „Migrationsobjekte partizipativ sammeln“ vom Stadtlabor / Frankfurt Jetzt! beim HMF mitzuwirken, den sie organisiert hatte (vom Herbst 2017 bis Frühjahr 2018). Ich habe ja als sogenannter Biodeutscher überhaupt keinen Migrationshintergrund, konnte mich bei diesem Thema aber doch gut einbringen. Dabei hatten fast alle anderen Teilnehmer dieses Workshops Migrationshintergrund. Zum Abschluss gab es eine Ausstellung sowie eine Broschüre.

Katerina wurde ja leider im HMF nicht weiter beschäftigt, sodass sie mittlerweile in Berlin tätig ist. Aber seit dem Frühjahr 2019 gibt es einen neuen Workshop im HMF zu dem Thema „Arbeit, Migration und Familie“. Wegen meiner Studie hat es sich ergeben, dass ich den Part über die griechischen Kürschner und Pelzhändler im Frankfurter Bahnhofsviertel übernehme. Es wird eine größere Ausstellung organisiert, die am 27. November 2019 eröffnet werden soll. Ich habe hierzu sogar noch ein paar weitere Interviews geführt. Bezüglich Pelz bin ich zuständig für die Ausstellungstexte, die Bilder sowie eine bebilderte Audioaufnahme mit Ausschnitten aus den Interviews passend zum Thema auf einer Medienstation.

Was ist das Ziel Deiner Forschungstätigkeit? Gibt es schon erste relevante Auswertungen und Ergebnisse?

Ich sehe mein Projekt bis jetzt nicht unbedingt als Forschung bzw. als wissenschaftliche Tätigkeit. Das liegt aber daran, dass für mich als Ingenieur Forschung und Wissenschaft etwas mit Technik und Naturwissenschaft zu tun hat. Der historische Aspekt meiner Arbeit war mir am Anfang auch gar nicht bewusst. Mir ging es eher darum, das Empfinden der Frankfurter Griechen zu erfassen. Nämlich: Wie sind sie hier in der Stadt angekommen bzw. angenommen worden? Schon bald war mir aber klar, dass es auch darum geht, den Griechen hier in Frankfurt eine Stimme zu geben, das heißt, sie präsenter im Stadtbild zu machen. Denn das kam in einigen Interviews zur Sprache: der Eindruck, dass die Griechen hier kaum wahrgenommen werden. Erst später wurde mir dann die historische Dimension meiner Tätigkeit bewusst. Nämlich ab dem Zeitpunkt, wo ich begriff, dass die Griechen dieser Stadt spätestens ab Ende des Zweiten Weltkriegs doch eine richtige und abwechslungsreiche Geschichte durchgemacht haben, die es Wert ist, aufbewahrt bzw. erinnert zu werden.

Es gibt schon ein paar kleinere erste Zusammenfassungen meiner Ergebnisse. Außerdem habe ich ein paar Porträts von ausgewählten Interviewpartnern in der Griechenland Zeitung veröffentlicht.

Wie sieht die weitere Planung Deiner Forschungen aus?

Hauptziel meiner Tätigkeit ist, dass meine Ergebnisse in Form eines Buches veröffentlicht werden. Einen Verleger zu finden, ist nicht so einfach. Mit einem bin ich gut im Gespräch. Das Kapitel über die griechischen Kürschner und Pelzhändler liegt in einer ersten Fassung vor. Ich bin gerade am Schreiben des Einleitungskapitels, und hoffe, dass das Buch im Laufe des Jahres 2020 zum Abschluss kommt. Ansonsten lasse ich mich bei anderen Aktivitäten auch gerne etwas treiben. Vielleicht müsste ich da noch proaktiver werden? Interessant finde ich, dass ich von einer Fachzeitschrift für Migration und Soziale Arbeit angesprochen worden bin, ob ich nicht einen Artikel über selbständige Griechen in Frankfurt schreiben möchte. Auch hierin zeigt sich, dass meine Tätigkeit doch durchaus wissenschaftliche Relevanz zu haben scheint.

Thema Migration und Integration: Findest Du, dass die GriechInnen bzw. generell die MigrantInnen in Frankfurt bzw. in Deutschland ausreichend wahrgenommen werden?

Ja, das finde ich schon. Ich dachte ja vor Beginn meiner Studie, dass ich als Griechenlandreisender und -kenner doch auch hier in Frankfurt schon das meiste über die hiesigen Griechen kenne. Aber Pustekuchen. Ich habe da doch noch sehr viel Neues, mir bis dato Unbekanntes kennengelernt, was auch sehr spannend und bereichernd für mich war.

Die Griechen werden in Deutschland wohl nicht sonderlich wahrgenommen, weil sie doch sehr gut integriert sind. Angepasst könnte man auch sagen. Aber nicht assimiliert, denn in der griechischen Community, also gerade in den griechisch-orthodoxen Kirchen und den landsmannschaftlichen Vereinen wird doch die griechische Kultur gelebt und wachgehalten.

Andere Ethnien werden in der bundesdeutschen Öffentlichkeit viel mehr wahrgenommen, also zum Beispiel die Türken oder generell Muslime. Aber das ist dann meist eine eher negative Wahrnehmung.

Wo siehst Du aus Deiner Erfahrung heraus, Unterstützungs- und Verbesserungsbedarf beim Thema Migration?

Diesen wichtigen Punkt haben wir auch in dem Interview mit der Katerina Dori ausführlich diskutiert. Hier ist vor allem die Stadt und ihre kulturellen Institutionen gefordert. Also Kulturamt, Historisches Museum Frankfurt, Stadtarchiv, AmkA (Amt für multikulturelle Angelegenheiten) etc. Es geht also darum, die Geschichte und die Spuren der Migration zu sichern und zu sammeln, und auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Öffnung geschieht gerade von Seiten des Historischen Museums. Der Ansatz wäre, dass die Stadt und ihre Institutionen gerade auch auf migrantische Vereine – in meinem Fall die beiden griechischen Gemeinden in Frankfurt, was ja beides Kulturvereine sind, sowie die vielen landsmannschaftlichen griechischen Vereine – zugehen und sie unterstützen. Objekte von historischem Wert „Migrationsobjekte“ zu identifizieren, zu sammeln, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin zahlreiche interessante Begegnungen!

Frau Paraschaki erzählte über ihre deutschen und griechischen „Heimat“-Gefühle, von den Bemühungen ihrer Eltern, die eigene Kultur weiter zu pflegen und zu bewahren und gleichzeitig offen für die Kultur des Aufnahmelandes zu sein. Gleichzeitig erlebt man eine spannende Rückschau und erfährt aus erster Hand den Erlebnisbericht der 1. und 2. Generation im Miteinander der gemeinsam erlebten Migration und der erfolgten Sozialisation.

„Ich würde jeden dazu ermuntern, sich auf die Kultur, auf das Leben und die Möglichkeiten in Deutschland einzulassen“

Wie sah das Leben in Deutschland für Sie als Kind griechischer Einwanderer aus?

Anfänglich war ja für mich das ‚Griechisch sein‘ normal, bis man dann natürlich anfängt in der Schule (in der Grundschule) ein Stück weit zu merken, dass man anders ist. Dies wird dann mit und in den Freundschaften offensichtlicher. Das muss aber nicht negativ sein.

Familenbild im Jahr 1980 in Esslingen

Vermittlung der griechischen Kultur in der „Fremde“

Aber es stimmt schon, dass meine Eltern ein Stück weit versucht haben, uns die griechische Tradition und unsere Kultur in der Fremde zu vermitteln und diese zu bewahren. Meine Eltern haben ganz viel auf eigene Entfaltung verzichtet, zu Gunsten der Kinder. Meine Eltern haben sehr früh den Entschluss gefasst, nicht nach Griechenland zurückzukehren und haben hier dann auch Eigentum erworben und sich also bereits Ende der 70er, Anfang, der 80er dazu entschieden, sich auf das ‚hier‘ komplett einzulassen.

 

Meine Eltern haben beide sehr viel und permanent gearbeitet. Geld gab es nicht im Überfluss, aber da meine Eltern zu wirtschaften wussten, hat es uns an nichts gefehlt. Und natürlich sind wir fast jedes Jahr, je nach finanzieller Situation, nach Griechenland gefahren. Anfänglich mit dem Auto und nach dem Ausbruch des Balkankrieges, dann mit dem Flugzeug. Da meine Eltern sich in Deutschland kennengelernt haben, kam erschwerend dazu, dass mein Vater aus dem Norden Griechenlands kam und meine Mutter aus dem Südosten, also auch da eine weitere Herausforderung, die es zu meistern galt.

Erlebten Sie sich mit ihrer griechisch gelebten Kultur in der Schulzeit als „anders“?

Ja, das habe ich, mir hat unter anderem bei vielen Lehrplaninhalten der Wissenshintergrund gefehlt. Ferner habe ich vormittags die deutsche und nachmittags die griechische Schule besucht. Auch haben wir natürlich andere religiöse und kulturelle Feste gefeiert.

Haben Sie Diskriminierung erfahren müssen?

Nicht wissentlich.

Der familiäre Alltag in der Diaspora?

Der Alltag war schwieriger. Es gab ja keine große Familie drumherum, die unterstützen konnte. Die lebte ja in Griechenland. Es gab in Deutschland keine Großeltern, so dass meine Eltern tatsächlich alles selber stemmen mussten… von der Kinderbetreuung, über den Schulalltag, Ausflüge, etc.

Der Alltag war geprägt vom Erhalt der griechischen Kultur in der Fremde, er war aber auch geprägt vom Leben nach den hiesigen kulturellen Begebenheiten. Es war immer ein Spagat. Nicht nur in der eigenen Kultur zu verbleiben. Und, die neue Kultur zu erfahren, ohne sich von der eigenen zu entfremden.

Schulfest am griechischen Nationalfeiertag, 25. März 1985, Argyri Paraschaki mit griechischer Fahne

Schulfest am griechischen Nationalfeiertag, 25. März 1985,
Argyri Paraschaki mit griechischer Fahne

Wo sehen Sie aktuell ihre Heimat? Ist Deutschland zur Heimat geworden? Wenn ja, warum?

Ich sehe Deutschland als meine Heimat. Ja, ich darf sagen, dass Deutschland zur Heimat geworden ist.

„Ich fühle mich in Deutschland wohl“

Ich glaube, dass das ganz einfach damit zu beantworten ist, dass ich hier sozialisiert bin. Ich arbeite hier, ich habe mein soziales und kulturelles Umfeld hier. Ich fühle mich in Deutschland wohl und darf anmerken, dass ich mich als Teil der Gesellschaft in Deutschland fühle und ich engagiere mich auch gerne für dieses Land.

Natürlich ist ein großer Teil meiner Familie in Griechenland und ich bin regelmäßig auch in Griechenland und fühle mich dort auch wohl. Ein Stück weit ist Griechenland natürlich auch Heimat, die Heimat meiner Eltern. Aber ich habe dort nicht gelebt und daher ist für mich ganz klar Deutschland meine Heimat. Kurz um, ich fühle mich zu Deutschland zugehörig.

Was bedeutet „Heimat“ bzw. der Begriff der „Heimat“ für Sie?

Heimat ist da, wo ich mich zu Hause fühle und wo ich sozialisiert bin.

Gibt es so etwas wie fremd sein oder ein Gefühl des anders sein?

Ja, schauen Sie, viele Menschen die nach Deutschland eingewandert oder nach Deutschland migriert sind, und ich nicht auf die Gesellschaft hier eingelassen haben, sind ja auch nicht sozialisiert und deswegen fühlen sie sich nicht dazugehörig.

Sie fühlen sich also fremd oder anders. Ich habe durch meine Mutter sehr früh gelernt, dass man aktiv auf andere zugehen muss.

Wenn man nämlich darauf wartet, dass jemand auf einen zukommt, dann kann das ganz schön schief gehen. Meine Eltern, vor allem meine Mutter, haben versucht sich mit der Kultur hier ebenfalls auseinanderzusetzen.

Gibt es kulturelle Identität? Fühlen sie sich einer bestimmten Nationalität zugehörig?

Natürlich gibt es eine kulturelle Identität, vielen Menschen bleibt in der Fremde nur die kulturelle Identität. Und leider verwechseln viele Kultur mit Religion.
Ich fühle mich deutsch, aber nicht nur! Ich darf anmerken, dass ich tatsächlich, weil ich ein Leben lang eben auch Kontakt zu Griechenland und zu Griechen habe – übrigens sowohl in Deutschland, als auch in Griechenland – mich auch als griechisch fühle.

Hat sich ihre griechische Kultur durch das Leben in Deutschland verändert?

Ja, hat sie. Egal ob Ostern oder Weihnachten, oder deutsch religiöse Feste und Traditionen oder griechische, das fließt alles ineinander über. Man verdeutscht das Griechische und man vergriechischt das Deutsche. Egal ob bewusst oder unbewusst. ☺

Die Anwendung rückwirkend auf den Migrationsprozess der Eltern, was war positiv, wo gab es Schwierigkeiten?

Ich glaube, die Schwierigkeit war, in einem fremden Land, wo ja noch nicht so viele Möglichkeiten bestanden wie heute, seine Religion und Kultur auszuleben und der Fokus natürlich darauf lag, sich hier etwas Aufzubauen, war geprägt, durch den Erhalt des Bekannten und das Einlassen auf das Neue und Fremde und wenn ich das anmerken darf, das ist meinen Eltern sehr sehr gut gelungen. Als positiv empfinde ich bis heute den Einblick in beide „Welten“.

Was würden Sie heute aus ihrer Erfahrung heraus den Deutschlernenden und Arbeitgebern und Behörden Mitarbeitern, die mit Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten, empfehlen, damit eine Integration gelingt?

Ich würde jeden dazu ermuntern, sich auf die Kultur, auf das Leben und die Möglichkeiten in Deutschland einzulassen.
Ich würde aber im Hinblick auch auf die Themen, die jetzt anstehen (Sprachkurse, Politikverdrossenheit, Überfremdung, etc.) die Neuzugewanderten von Anfang an etwas verpflichtender an die Materie heranführen.

Auf das Gala von 1 (schlecht) bis 10 Uhr (gelungen) – wie fühlen sie sich integriert?
10!

Vielen Dank für das Gespräch!