Interview mit Dr. Peter Oehler, ehrenamtlicher Stadtteilhistoriker mit dem Schwerpunkt „Griechinnen und Griechen in Frankfurt“

Der Stadtteilhistoriker Dr. Peter Oehler während eines kulturhistorischen Stadtspaziergangs – „Griechen in Frankfurt“ im Mai 2019 (Foto: Christian Appel)

Peter Oehler ist von Haus aus Ingenieur – er hat Elektrotechnik an der TU Darmstadt studiert sowie seine Promotion am Fachbereich Informatik der Goethe-Universität Frankfurt am Main erfolgreich abgeschlossen. Nach jahrzehntelanger Tätigkeit als Entwicklungsingenieur bei einem großen Automobilzulieferer arbeitet er seit 2016 freiberuflich – unter anderem auch als  Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Der engagierte Naturwissenschaftler schreibt Prosa, Rezensionen, Reiseartikel – insbesondere über Griechenland. Sein Herz schlägt für Griechenland, für die Kultur, Geschichte und auch für die regionale Kultur- und Stadtgeschichte der zugewanderten Griechen.

Vom Oktober 2016 bis März 2017 gehörte der VI. Staffel der Frankfurter StadtteilHistoriker an. Die Veranstaltungsreihe wurde von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt organisiert und durchgeführt.

Lieber Peter Oehler, allen voran die Frage: Was hat Dich als Naturwissenschaftler dazu bewogen, Dich mit dem stadt- und kulturhistorischen Thema der Griechinnen und Griechen in Frankfurt ehrenamtlich zu beschäftigen?

Zunächst einmal gehöre ich von meinem beruflichen Werdegang zu den Ingenieurwissenschaftlern. Aber wenn man die akademische Welt grob unterteilt in Geistes- und Naturwissenschaften, so zähle ich sicherlich zu den Naturwissenschaftlern. Schon ab Mitte der 1990er Jahre beschäftige ich mich intensiv mit der Literatur. Von der Seite her habe ich mich immer mehr zum Schriftsteller entwickelt. Diesen Widerspruch, dass ich durch meinen Brotjob als Ingenieur nie genug Zeit zum Schreiben hatte, habe ich ja dann Ende 2015 mit meiner Kündigung für mich gelöst. Als ein Freund mich auf das Programm der StadtteilHistoriker hinwies, mit der Bemerkung, das sei nicht viel Arbeit, und die einmalige Aufwandsentschädigung von 1500 Euro sei leicht verdientes Geld, kam ich zunächst ins Grübeln. Denn so mit historischen Themen, dann auch noch so im Kleinen, bezogen auf einen Stadtteil, da fiel mir nichts ein bzw. das klang für mich eher uninteressant. Auf der anderen Seite bin ich auch ein Griechenlandfan. Seit meiner ersten organisierten Radreise auf dem Peloponnes, das war 1994, zieht es mich immer wieder dorthin. Durch mein Interesse an Griechenland kannte ich auch bereits ein paar Griechen hier in Frankfurt. Die Fragestellung, die für mich den Ausschlag gab, mich zu bewerben, war: Auf meinen griechischen Reisen bin ich immer wieder ehemaligen griechischen Gastarbeitern begegnet, die dort Kafenía, Tavernen oder Pensionen betreiben. Von ihnen erfuhr ich, dass es für einen Griechen vollkommen okay ist, ins Ausland zu gehen um Geld zu verdienen. Aber nach einer bestimmten Zeit, wenn er genug verdient hat, kehrt der Grieche immer zurück nach Griechenland. Die Griechen, die ich bis dato in Frankfurt kannte, machten auf mich aber nicht den Eindruck, dass sie in ihre alte Heimat zurückkehren wollten. Diesem Widerspruch wollte ich mittels eines Interview-Projekts auf den Grund gehen.

Was ist Deiner Meinung nach das Besondere an den „GriechInnen in Frankfurt“ gegenüber anderen Griechischstämmigen, die in der Diaspora leben, also auch in anderen Städten Deutschlands oder auf dem Land?

Zum einen ist mir aufgefallen, und das ist eines der Ergebnisse meiner zahlreichen Interviews, dass sich die Griechen hier in Frankfurt besonders wohl fühlen. Und das liegt vor allem daran, dass Frankfurt die internationalste Stadt Deutschlands ist, und wohl auch eine der offensten und liberalsten. Da merkt man schon einen gewissen Kontrast, zum Beispiel zur Nachbarstadt Offenbach. Offenbach ist ja, relativ betrachtet, die ausländer- und damit auch griechenstärkste Stadt Deutschlands. Wenn man aber das Thema Ghettoisierung anspricht, dann spricht man über Offenbach, und nicht über Frankfurt.

Zum zweiten, und das hatte ich zu Beginn meiner Studie auch gar nicht auf meinem Schirm gehabt, zeichnet sich Frankfurt gegenüber anderen Städten Deutschlands dadurch aus, dass es hier einst das weltweit größte Pelzzentrum gegeben hat. Und zwar in und um die Niddastraße im Frankfurter Bahnhofsviertel. Und das war eindeutig eine Domäne der Griechen gewesen, was auch dazu geführt hat, dass das Bahnhofsviertel generell, also auch bezogen auf andere Geschäfte, auf Restaurants und Cafés, in den 1970er und 1980er Jahren fest in griechischer Hand gewesen ist. Das griechische Pelzzentrum bzw. das griechische Bahnhofsviertel war schon etwas Einmaliges.

Gibt es Besonderheiten, die Dir während der Forschungsarbeit auffielen?

Man kann hier in Frankfurt und Umgebung schon von einer griechischen Community sprechen. Also ein loses Netzwerk, das wesentlich durch die griechisch-orthodoxen Kirchengemeinden und die vielen griechischen Vereine geknüpft ist. Mir fällt auch immer wieder auf, dass ich im Gespräch mit neuen Interviewpartnern immer wieder auf mir bereits Bekanntes stoße. Aber das liegt daran, dass die zirka 7.000 Griechen in Frankfurt von der Größe her so eine Kleinstadt repräsentieren, in der ja auch jeder jeden kennt. Aber ich habe auch immer wieder Griechen getroffen, die mit dem ganzen „Griechentum“ in dieser Stadt gar nichts zu tun haben wollen, also weder mit der griechischen Kirche, noch mit griechischen Vereinen. Die griechische Bevölkerung Frankfurts ist also alles andere als homogen.

Eine Sache hat mir selber zu denken gegeben: Mehrere Griechen haben zu mir gemeint, dass sie das gerade gut finden, in oder mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein oder zu leben. Sie empfinden das als eine Bereicherung. Ich kam mir da beinahe etwas minderbemittelt oder benachteiligt vor, da ich ja genau in dem Kulturkreis lebe, in den ich auch hineingeboren worden bin. Andere Griechen vertreten wiederum die Meinung, dass man nicht als Grieche geboren wird, sondern dass man zum Griechen wird bzw. sich erst entwickeln muss. Hier kommt der Aspekt der Lebenseinstellung ins Spiel. Und die griechische Lebensart ist vielleicht auch etwas, was alle Menschen sich aneignen können, wenn sie das denn wollen. Aber vielleicht mache ich ja auch genau aus diesem Grunde diese ganzen Reisen nach Griechenland, und bin in gewisser Weise schon ein halber Grieche geworden?

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der griechischen Community aus?

Durch meine zahlreichen Interviews mit insgesamt 49 Personen haben sich natürlich viele Kontakte ergeben. Zwei meiner Interviewpartner sind ja leider bereits verstorben. Ein paar leben in Griechenland. Aber ich versuche, die Kontakte zu halten. Gute Gelegenheit dazu sind die vielen Feste, zum Beispiel an Ostern oder die Patronatsfeste (wegen des Namenstages) der griechisch-orthodoxen Kirchen. Nicht von allen Festen kriege ich auch wirklich etwas mit. Über die Interviews habe ich auch eine ganze Reihe von griechischen Vereinen kennengelernt, zum Beispiel durch Gespräche mit den Vorsitzenden. Aber eine engere Zusammenarbeit gibt es da nicht.

Du arbeitest ehrenamtlich an diesem Thema – gibt es Kooperationen mit der Stadt Frankfurt oder anderen Institutionen, Verbänden oder Vereinen?

Von Seiten der Stadt nicht. Nach der einmaligen Förderung durch die Stiftung Polytechnische Gesellschaft habe ich mich bisher auch nicht um eine Förderung bemüht. Da kenne ich mich wenig aus bzw. wüsste auch gar nicht, wer da in Frage kommen würde. Eine mehr zielgerichtete Zusammenarbeit ergibt sich, wenn ich bezüglich Vorträgen oder Ähnlichem angesprochen werde. Im Rahmen der Stiftung Polytechnische Gesellschaft habe ich an der Poster-Gemeinschaftsausstellung der StadtteilHistoriker der VI. Staffel auf der Hauptwache im April 2018 teilgenommen sowie bei der Bahnhofsviertelnacht im August 2018 einen Vortrag über die griechischen Kürschner und Pelzhändler im Frankfurter Bahnhofsviertel gehalten. Ich bin auch in Kontakt mit dem sehr griechisch geprägten Kultur-Forum Frankfurt. Hier hat sich die Idee, einen Vortrag nebst Podiumsdiskussion mit mehreren meiner Interviewpartner bis jetzt noch nicht realisiert. Im Januar 2019 habe ich einen Vortrag über mein gesamtes Projekt bei dem Culture Club Riedberg gehalten. Interessant war auch der sogenannte historische Stadtspaziergang bezüglich Griechen in Frankfurt im Mai 2019. Hierzu hatte mich Ralph Demant angesprochen, der diese Privatinitiative zusammen mit seiner Frau seit 2013 ehrenamtlich organisiert. Und für den 23. Oktober 2019 ist ein Vortrag bei der Deutsch-griechischen Gesellschaft Frankfurt geplant.

Gibt es Interessierte und UnterstützerInnen Deines Projektes?

Durch mein Interesse an Griechenland habe ich mittlerweile einige Freunde und Bekannte, die sich ebenfalls für alles Griechische interessieren, aber Nichtgriechen sind. Sie stehen meinem Projekt sehr wohlwollend gegenüber. Von ihnen habe ich auch schon viele Tipps un förderliche Hinweise bekommen. Nicht zu vergessen sind natürlich die Interviewpartner selber. Es gibt doch eine ganze Reihe, die mir explizit gedankt haben und betonten, dass sie das gut finden, dass sich jemand mit der Geschichte der Griechen in Frankfurt beschäftigt. Einer sagte zu mir, eigentlich hätten da die Griechen auch selber drauf kommen können. Aber vielleicht sei es sogar besser, dass diese Aufgabe ein Nichtgrieche macht, da er doch unvoreingenommener an das Thema herangehen würde.

Arbeitest Du mit Institutionen zusammen, die sich mit dem Thema Migration und deren öffentliche Darstellung beschäftigen?

Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft ist ja vielfältig hier in Frankfurt tätig. Sie unterhält auch ein Stipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“ beim Historischen Museum Frankfurt (HMF). Und zu meiner Zeit als StadtteilHistoriker war diese Stelle mit Katerina Dori besetzt, einer jungen Griechin. Wir sind aufeinander aufmerksam gemacht worden. Und so hat mich Katerina auch aufgefordert, an dem Workshop „Migrationsobjekte partizipativ sammeln“ vom Stadtlabor / Frankfurt Jetzt! beim HMF mitzuwirken, den sie organisiert hatte (vom Herbst 2017 bis Frühjahr 2018). Ich habe ja als sogenannter Biodeutscher überhaupt keinen Migrationshintergrund, konnte mich bei diesem Thema aber doch gut einbringen. Dabei hatten fast alle anderen Teilnehmer dieses Workshops Migrationshintergrund. Zum Abschluss gab es eine Ausstellung sowie eine Broschüre.

Katerina wurde ja leider im HMF nicht weiter beschäftigt, sodass sie mittlerweile in Berlin tätig ist. Aber seit dem Frühjahr 2019 gibt es einen neuen Workshop im HMF zu dem Thema „Arbeit, Migration und Familie“. Wegen meiner Studie hat es sich ergeben, dass ich den Part über die griechischen Kürschner und Pelzhändler im Frankfurter Bahnhofsviertel übernehme. Es wird eine größere Ausstellung organisiert, die am 27. November 2019 eröffnet werden soll. Ich habe hierzu sogar noch ein paar weitere Interviews geführt. Bezüglich Pelz bin ich zuständig für die Ausstellungstexte, die Bilder sowie eine bebilderte Audioaufnahme mit Ausschnitten aus den Interviews passend zum Thema auf einer Medienstation.

Was ist das Ziel Deiner Forschungstätigkeit? Gibt es schon erste relevante Auswertungen und Ergebnisse?

Ich sehe mein Projekt bis jetzt nicht unbedingt als Forschung bzw. als wissenschaftliche Tätigkeit. Das liegt aber daran, dass für mich als Ingenieur Forschung und Wissenschaft etwas mit Technik und Naturwissenschaft zu tun hat. Der historische Aspekt meiner Arbeit war mir am Anfang auch gar nicht bewusst. Mir ging es eher darum, das Empfinden der Frankfurter Griechen zu erfassen. Nämlich: Wie sind sie hier in der Stadt angekommen bzw. angenommen worden? Schon bald war mir aber klar, dass es auch darum geht, den Griechen hier in Frankfurt eine Stimme zu geben, das heißt, sie präsenter im Stadtbild zu machen. Denn das kam in einigen Interviews zur Sprache: der Eindruck, dass die Griechen hier kaum wahrgenommen werden. Erst später wurde mir dann die historische Dimension meiner Tätigkeit bewusst. Nämlich ab dem Zeitpunkt, wo ich begriff, dass die Griechen dieser Stadt spätestens ab Ende des Zweiten Weltkriegs doch eine richtige und abwechslungsreiche Geschichte durchgemacht haben, die es Wert ist, aufbewahrt bzw. erinnert zu werden.

Es gibt schon ein paar kleinere erste Zusammenfassungen meiner Ergebnisse. Außerdem habe ich ein paar Porträts von ausgewählten Interviewpartnern in der Griechenland Zeitung veröffentlicht.

Wie sieht die weitere Planung Deiner Forschungen aus?

Hauptziel meiner Tätigkeit ist, dass meine Ergebnisse in Form eines Buches veröffentlicht werden. Einen Verleger zu finden, ist nicht so einfach. Mit einem bin ich gut im Gespräch. Das Kapitel über die griechischen Kürschner und Pelzhändler liegt in einer ersten Fassung vor. Ich bin gerade am Schreiben des Einleitungskapitels, und hoffe, dass das Buch im Laufe des Jahres 2020 zum Abschluss kommt. Ansonsten lasse ich mich bei anderen Aktivitäten auch gerne etwas treiben. Vielleicht müsste ich da noch proaktiver werden? Interessant finde ich, dass ich von einer Fachzeitschrift für Migration und Soziale Arbeit angesprochen worden bin, ob ich nicht einen Artikel über selbständige Griechen in Frankfurt schreiben möchte. Auch hierin zeigt sich, dass meine Tätigkeit doch durchaus wissenschaftliche Relevanz zu haben scheint.

Thema Migration und Integration: Findest Du, dass die GriechInnen bzw. generell die MigrantInnen in Frankfurt bzw. in Deutschland ausreichend wahrgenommen werden?

Ja, das finde ich schon. Ich dachte ja vor Beginn meiner Studie, dass ich als Griechenlandreisender und -kenner doch auch hier in Frankfurt schon das meiste über die hiesigen Griechen kenne. Aber Pustekuchen. Ich habe da doch noch sehr viel Neues, mir bis dato Unbekanntes kennengelernt, was auch sehr spannend und bereichernd für mich war.

Die Griechen werden in Deutschland wohl nicht sonderlich wahrgenommen, weil sie doch sehr gut integriert sind. Angepasst könnte man auch sagen. Aber nicht assimiliert, denn in der griechischen Community, also gerade in den griechisch-orthodoxen Kirchen und den landsmannschaftlichen Vereinen wird doch die griechische Kultur gelebt und wachgehalten.

Andere Ethnien werden in der bundesdeutschen Öffentlichkeit viel mehr wahrgenommen, also zum Beispiel die Türken oder generell Muslime. Aber das ist dann meist eine eher negative Wahrnehmung.

Wo siehst Du aus Deiner Erfahrung heraus, Unterstützungs- und Verbesserungsbedarf beim Thema Migration?

Diesen wichtigen Punkt haben wir auch in dem Interview mit der Katerina Dori ausführlich diskutiert. Hier ist vor allem die Stadt und ihre kulturellen Institutionen gefordert. Also Kulturamt, Historisches Museum Frankfurt, Stadtarchiv, AmkA (Amt für multikulturelle Angelegenheiten) etc. Es geht also darum, die Geschichte und die Spuren der Migration zu sichern und zu sammeln, und auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Öffnung geschieht gerade von Seiten des Historischen Museums. Der Ansatz wäre, dass die Stadt und ihre Institutionen gerade auch auf migrantische Vereine – in meinem Fall die beiden griechischen Gemeinden in Frankfurt, was ja beides Kulturvereine sind, sowie die vielen landsmannschaftlichen griechischen Vereine – zugehen und sie unterstützen. Objekte von historischem Wert „Migrationsobjekte“ zu identifizieren, zu sammeln, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin zahlreiche interessante Begegnungen!